
Plötzlich ist diese Stimme da. Aus der Erinnerung strömt sie in die Zelle der Festung Hohenasperg. Der tapfere Dichter und Musiker Christian Friedrich Daniel Schubart, den Carl Eugen, der despotische Landesherr von Württemberg, dort wegen "frevelhafter Antastung fast aller gekrönter Häupter auf dem Erdball" zehn Jahre in Haft hält, schreibt: "Seine Stimme ist der schönste Tenor, den man hören kann. Er steigt bis in die Sphäre des Alts hinauf, und eben so glücklich hinunter in die Regionen des Basses. Seine Töne sind alle dick, voll und rein." Als Schubarts "Ästhetik der Tonkunst" 1806 posthum erscheint, ist auch der Sänger schon tot, dessen Stimme durch den Kerker drang: Anton Raaff. In Obermenzing erinnert der Raffweg - so die andere Schreibweise - an den großen Tenor des 18. Jahrhunderts.
1714 in Gelsdorf bei Bonn geboren, als Sohn eines Schäfers, der später Gutsverwalter wurde, bekommt der kleine Anton früh eine musikalische Erziehung. Der Kölner Erzbischof und Reichsfürst Clemens August schickt ihn zur Ausbildung in die Ferne: nach München zum berühmten Antonio Bernacchi, und nach Bologna. 1736 wird Raaff als Hof- und Kammermusiker angestellt, brilliert bei großen Auftritten. Er singt 1738 bei der Hochzeit von Maria Theresia in Wien und vier Jahre später in Mannheim, bei der Heirat des pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor. Danach reißen sich die europäischen Höfe um ihn, er tritt in Bologna, Livorno und Madrid auf. 1755 trifft er den Kastraten Farinelli, der nach einer großen Karriere als Sänger nun Operndirektor in Madrid ist.
Für Raaff, der dem Schicksal entging, "tenorisiert", also als Knabe kastriert zu werden, ist es ein glückliches Jahr. Er hat in Lissabon gesungen und die Stadt bereits verlassen, als sie an Allerheiligen von einem Erdbeben und einem Tsunami zerstört wird. In Neapel steigt er zum führenden Tenor auf. Das bleibt auch dem Dichter und Librettisten Pietro Metastasio nicht verborgen. Raaffs Stimme gefällt ihm, er bemängelt aber seine Künste als Darsteller: "Un tedesco nominato Raaff, excellentissimo cantore ma freddissimo rappresentante."
Nach neun Jahren Neapel folgt Raaff einem Ruf Karl Theodors an die Mannheimer Oper. 1777 kommt Wolfgang Amadeus Mozart dort vorbei, findet Raaffs Stimme zwar "schön und sehr angenehm", konstatiert aber auch den Verfall bei dem 63-Jährigen: "Gegen Ende der Arie fiel er mit der Stimme so sehr, daß man es nicht aushalten konnte." Umso erstaunlicher, dass Mozart ihm die Titelrolle in "Idomeneo" auf den Leib schreibt, Raaff singt sie bei der Uraufführung am 29. Januar 1781 im Cuvilliéstheater, mit fast 67 Jahren.
Aber wieso hat es ihn nach München verschlagen? Er ist Karl Theodor gefolgt, der seine Residenz 1778 nach München verlegte. Nach Idomeneo betritt Raaff keine Bühne mehr, er - der gerne Priester geworden wäre - singt nur noch in Kirchen, gibt Gesangsunterricht. Am 28. Mai 1797 stirbt Anton Raaff, 83 Jahre alt. Ein kleiner Weg nur - und eine lange Geschichte.
July 18, 2020 at 02:44AM
https://ift.tt/3fH9Tya
"Excellentissimo cantore" - Süddeutsche Zeitung
https://ift.tt/2NSuQtW
Sehr angenehm
Bagikan Berita Ini
0 Response to ""Excellentissimo cantore" - Süddeutsche Zeitung"
Post a Comment