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Eindrücke fernab des Tatgeschehens » Regensburg Digital - regensburg-digital.de

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Am einzigen Verhandlungstag in dieser Woche gibt es im Prozess gegen Christian F., der an Pfingsten 2012 seine damalige Verlobte Maria Baumer ermordet haben soll, keine neuen Erkenntnisse zum möglichen Tatgeschehen. Stattdessen berichteten mehrere Zeugen aus dem (entfernteren) Umfeld von F. und Baumer über Gewohnheiten, Verhaltensweisen und Charakterzüge. Demnach sei der Angeklagte ruhig, angenehm und hilfsbereit gewesen. In ungefähr drei Wochen will die Verteidigung eine Erklärung abgeben.

Wird als “angenehm”, “hilfsbereit” und “guter Zuhörer” beschrieben: Der Angeklagte Christian F. Foto: om

„Die Kammer ist offen für alle Fallgestaltungen“, sagt der Vorsitzende Richter Michael Hammer nach einer kurzen Diskussion zu Beginn der Sitzung. Es geht nicht um Prozessinhalte, sondern um die seit Wochen defekte Klimaanlage im großen Sitzungssaal des Landgerichts Regensburg. Diese kühle zwar, aber die Lüftung funktioniere nicht. Im Sinne der Reduzierung der Corona-Ansteckungsgefahr und des Luftaustausches im Saal fordert Nebenklagevertreterin Ricarda Lang daher, lieber die Fenster dauerhaft offenzuhalten und dabei eine Erwärmung der Raumtemperatur in Kauf zu nehmen.

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Christian F.s Verteidiger Michael Haizmann schließt sich dem Ansinnen an. Staatsanwalt Thomas Rauscher hat dagegen grundsätzlich keine Einwände, möchte aber im Falle offener Fenster die Robe abnehmen dürfen. Und so kommt es letztlich: Die Fenster werden geöffnet und wenn es zu warm werde, können die Prozessbeteiligten die Robe abnehmen, so Hammer. „Ein kühler Kopf ist mir wichtiger als die äußere Form.“

Dieses Zwischenspiel steht exemplarisch für die bisherige Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters in diesem Indizienprozess. Moderierend und ruhig im Ton, umsichtig im Umgang und um Ausgleich bemüht. Das zeigt sich auch in Zeugenvernehmungen, wie zuletzt etwa bei Valerie S., die von Christian F. gestalkt und 2014 mit Lorazepam betäubt wurde.

„Wir können uns keine Fehler erlauben.“

Hammer bat sie vergangenen Mittwoch zu einem kurzen Vorgespräch, um ihr die Angst zu nehmen, stellte ihr die Verfahrensbeteiligten vor und räumte ihr ein, jederzeit eine Pause machen zu können, sollte sie sich unwohl fühlen oder Retraumatisierungen durchleben. Die Vernehmung müsse aber sein, so der Richter. „Wir können und keine Fehler erlauben.“

Führt umsichtig durch den Prozess: Michael Hammer (Mitte). Foto: om

Weil man sich keine Fehler erlauben kann, werden auch etliche Zeuginnen und Zeugen gehört, die zum Tatgeschehen und mutmaßlichen Nachtatverhalten nichts beitragen können. Es geht um Charakterzüge, Gewohnheiten und allgemeine Verhaltensweisen von Maria Baumer und F. sowie die möglichen Motivlagen des Angeklagten. Am Freitag, dem einzigen Verhandlungstag in dieser Woche, sagen insgesamt neun Zeuginnen und Zeugen aus. Die Vernehmungen dauern teils nur wenige Minuten.

„Angenehm und hilfsbereit. Sehr guter Zuhörer.“

So sagen etwa zwei ehemalige Studienkolleginnen von F. an der Universität Regensburg aus, mit denen er während seines später abgebrochenen Medizinstudiums im sogenannten „Anatomieviertel“ war. Medizinstudierende werden zu jeweils einem Viertel in Studiengruppen aufgeteilt, die miteinander Praxiskurse absolvieren und sich somit öfter sehen. Ein weitergehender privater Kontakt zwischen Christian F. und der Zeugin Theresa R. habe zwar nicht bestanden, allerdings sei das Verhältnis „sehr gut“ gewesen. Sie habe F. als „angenehm empfunden“. Er sei ein „sehr guter Zuhörer“ und eigentlich könne sie „nur Positives zum Charakter“ sagen.

Auch Verena K. beschreibt F. als „angenehm und sehr freundlich“. Der Kontakt sei auch bei ihr nur oberflächlich gewesen, allerdings habe ihr F. einmal Unterstützung angeboten, als sie in einer Gruppe nach Umzugshilfe gefragt habe. So habe sie ihn als „hilfsbereit“ erlebt. Beide Zeuginnen schildern außerdem, dass F. Probleme mit den „schweren Fächern Chemie und Biochemie“ gehabt hätte. Laut R. litt er an Prüfungsangst und hätte sich schwer getan das Physikum zu bestehen.

Laut Staatsanwaltschaft konnte F. seinem sozialen Umfeld gegenüber mit dem von ihm inszenierten Verschwinden Maria Baumers den Misserfolg im Studium rechtfertigen. Die Anklagebehörde sieht darin ein mögliches Motiv für die Ermordung und das Nachtatverhalten.

Maria Baumer als Jakobswegpilgerin?

Zu einem möglichen tatsächlichen Verschwinden Baumers werden zwei Zeuginnen aus Gevelsberg im Ruhrgebiet befragt. Nach einer Sendung von Aktenzeichen XY … ungelöst, in der F. nebst Marias Zwillingsschwester Barbara noch als suchender Verlobter aufgetreten war, hatte sich Anja U. bei der Polizei gemeldet. Sie glaubte Baumer Anfang Juni 2012 mit großem Rucksack und Trekkingklamotten in Gevelsberg gesehen zu haben. Seit 26. Mai 2012 galt Baumer als vermisst.

In der Zeugenvernehmung bestätigt U., dass sie denke, Maria Baumer gesehen zu haben. Ihre Tochter und sie hätten eine Begegnung mit einer jungen Frau gehabt, auf die veröffentlichte Fahndungsfotos und Beschreibungen zutrafen. Sie habe sich in Gevelsberg bei den beiden nach dem Weg zur Engelbert-Kirche erkundigt und gemeint, alleine den Jakobsweg gehen zu wollen, weil sie ihr altes Leben hinter sich lasse wolle. Die Tochter schildert das Zusammentreffen mit der Pilgerin ähnlich.

Bis zum Auffinden von Baumers sterblichen Überresten im September 2013 hielt sich das Gerücht, sie könnte verschwunden sein, um den Jakobsweg zu gehen. Dafür, dass sie sich tatsächlich in Gevelsberg aufgehalten haben könnte oder den Jakobsweg gegangen ist, gibt es außer vermeintlichen Sichtungen jedoch keine Anhaltspunkte.

Umschwärmter Lehrer heiratet am Tag von Baumers Verschwinden

Ein weiterer Zeuge am Freitag ist Baumers ehemaliger Mathematiklehrer, Ulrich H. Neben seiner Lehrertätigkeit sei er mit ihr auch in einer Volleyballgruppe gewesen, wodurch er die Mathe-Leistungskursschülerin privat näher kennengelernt habe. Nach ihrem Abitur 2005 seien die beiden sogar miteinander nach Irland gefahren. Da dieser Urlaub Gerüchte befeuert habe, sei dem Zeugen wichtig zu betonen, dass er Maria Baumer zu keinem Zeitpunkt „anfassen“ würde. Vielmehr sei er „väterlicher Freund“ gewesen, wobei Maria möglicherweise für ihn geschwärmt habe.

Diese Schwärmerei beschreibt auch ein weiterer Zeuge, der Gymnasiallehrer Gunther W. Maria habe H. „sehr verehrt“ und „angehimmelt“. Ob das auch eine romantische Dimension hatte, wisse Gunther W. nicht. H. jedenfalls bestreitet das. Ein Kuriosum ist aber auch in diesem Zusammenhang der 26. Mai 2012. Just am Tag von Baumers Verschwinden heiratete H. Obwohl sie den Lehrer zu ihrer eigenen geplanten Hochzeit mit Christian F. eingeladen hatte, war sie zu seiner Hochzeit nicht eingeladen.

Die Verteidigung lässt sich Zeit. Foto: om

Verteidigererklärung in drei Wochen

Am Ende des Verhandlungstages fragt Richter Hammer die Verteidigung, wohin „die Reise“ nun hingehe. Gemeint ist die Verteidigererklärung, die „so rumgeistert“ in der Verhandlung. Die Kammer würde bevorzugen, wenn das Statement vor dem psychiatrischen Gutachten von Dr. Susanne Lausch erfolgen könnte, damit es die Sachverständige in ihrer Einschätzung entsprechend berücksichtigen könne. F.s Verteidiger Michael Euler vertröstet die Kammer jedoch.

„Grob“ werde die Stellungnahme übernächste Woche, sicher aber bis in drei Wochen kommen. „Es ist, wie es ist,“ so Euler. Für Nebenklagevertreterin Ricarda Lang riecht das zeitliche Hinauszögern der Erklärung nach „Prozessverschleppung“. Sie möchte den Vorgang protokolliert wissen. Der Inhalt der Einlassung von F.s Verteidigung ist bisher nicht bekannt, könnte aber von großer Bedeutung sein. Der Anklagte schweigt bisher zu den Vorwürfen.

Der Prozess wird am 17. August fortgesetzt. Neben einigen Bekannten von F. und Baumer wird auch der ermittelnde Kriminalhauptkommissar Jürgen Eberwein zu Nachtatereignissen vernommen. Am Folgetag soll das psychiatrische Gutachten von Dr. Susanne Lausch vorgestellt werden.

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August 08, 2020 at 11:42PM
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