
Die „TXL-Familie“ nimmt Abschied: Sie haben seit Jahrzehnten hier gearbeitet, Freunde gefunden, die Liebe fürs Leben – und mit den Fluggästen so einiges erlebt. Charlotte Bauer und Dennis Meischen haben mit Menschen vom Flughafen Tegel gesprochen – was sie erlebt haben, was sie vermissen werden. Und über ihre Hoffnungen und Befürchtungen, was seine Schließung des Flughafens Tegel für sie persönlich und für die Berlin bedeutet.
Erst verloren sie Air Berlin, jetzt TXL
Lucy und Manuel Arnold strahlen, als sie wieder in ihre alten Air Berlin-Uniformen schlüpfen. „Die gemeinsame Zeit als bei Air Berlin war die schönste unseres Lebens“, sagt die 36-jährige Lucy Arnold lächelnd, „und mit dieser schönen Zeit verbinden wir natürlich auch Tegel, von wo aus wir meistens gestartet sind.“ „Air Berlin und Tegel, das war wie eine Familie für uns“, stimmt ihr Mann Manuel zu. „Es ist daher schon hart, nach der Fluggesellschaft auch noch einen so tollen Berliner Airport zu verlieren.“
Die Arnolds sind seit 2005 Flugbegleiter. Kennengelernt haben sie sich bei der Grundausbildung für Air Berlin und danach fünfzehn Jahre lang Seite an Seite über den Wolken gearbeitet. „Am schönsten waren die Langstreckenflüge in die USA“, sagt der 41-jährige Manuel Arnold, „die fühlten sich fast immer wie Urlaube an.“ Der 27. Oktober 2017 war für die beiden ein „sehr schlimmer Tag“, sage sie – es war der letzte Tag für sie bei Air Berlin. Manuel trug als Purser die Verantwortung für die ganze Kabinencrew.
Danach flogen sie für Eurowings und seit 2019 für Germanwings. Seit der Abwicklung der Lufthansa-Tochter sitzen die Arnolds jedoch zuhause und warten darauf, wie es weitergeht. „Leider schon seit Mitte März, bezahlt wahrscheinlich noch bis Ende des Jahres“, sagt Lucy, und Manuel: „Wir sehnen uns nach dem Fluglärm und auch nach den Passagieren.“ Denn trotz neun Milliarden Euro Staatshilfe habe die Lufthansa ihnen noch immer keine Jobgarantie ausgesprochen.
So wirkt die Vergangenheit im Blick zurück für die beiden umso schöner. „Wir haben sehr viele schöne Erinnerungen an Air Berlin und Tegel“, sagt Lucy Arnold, „die ganze Atmosphäre vor Ort war atemberaubend. Das Bodenpersonal, die Angestellten – sie waren alle genauso, wie man sich Berlin eben vorstellt. Eine coole Truppe. Herzlich, direkt und mit einer Berliner Schnauze gesegnet. Wir hatten wirklich viel Spaß zusammen.“
„Die kurzen Wege in Tegel waren super“, meint auch Manuel Arnold, „alles war so nah und selbst wenn die langen Schlangen ab und zu genervt haben, ist es doch erstaunlich, was dieser kleine Flughafen als Provisorium die letzten Jahre geleistet hat.“ So recht konnten sich die Arnolds nie von „Air Berlin“ trennen. „Ich erinnere mich noch an unseren ersten Flug für Eurowings“, berichtet Lucy, „die Gesellschaft hatte uns noch keine neuen Uniformen gestellt, also erschienen wir in unserer Air Berlin-Ausstattung. Viele Passagiere haben sich darüber gefreut und gefragt, ob es uns schon wieder gibt.“
In einem Punkt ist sich das Ehepaar einig: Dass Tegel hätte offenbleiben können. „Warum sollte eine Metropole wie Berlin nicht zwei Flughäfen haben?“, fragt Manuel, „der stadtnahe Flughafen Tegel war für viele Geschäftsmänner und Touristen ein echter Gewinn. Das wird so am Großflughafen Berlin-Brandenburg nicht mehr möglich sein.“ „Wenn man Tegel schließt, verliert Berlin“, ist sich auch Lucy Arnold sicher. Aber auch am BER würden die Arnolds gerne als Flugbegleiter weiter machen, sie bleiben da optimistisch. „Natürlich würde ich mich am meisten darüber freuen, auch weiterhin am TXL arbeiten zu dürfen“, sagt Manuel Arnold, „aber das ist ja leider keine Option mehr.“
„Es ist, als würde ein alter Freund gehen“
An seinen ersten Moment am Flughafen Tegel kann sich James Phillips noch ganz genau erinnern. Es war der 1. Dezember 1987. „Es war alles sehr aufregend für mich“, erinnert sich Phillips. „Es war mein erster Besuch in Deutschland, sogar das erste Mal in Europa. Ohne jegliche Deutschkenntnisse bin ich damals als Passagier nach Berlin gekommen.“
Vor rund 31 Jahren ist Phillips, heute 56 Jahre alt, aus New Hampshire in den USA nach Deutschland ausgewandert. Hier war er als Pilot zunächst für zweieinhalb Jahre am Flughafen Tempelhof stationiert, seit 1990 am Flughafen Tegel. In den knapp 30 Jahren in Tegel habe er viel erlebt. „Von Köln über Rom bis Palma habe ich insgesamt bestimmt mehr als 100 Flughäfen von Tegel aus angeflogen“, so Phillips.
Natürlich habe er viele schöne Momente erlebt. „Es muss Ende der 1990er-Jahre gewesen sein, ein Silvesterabend kurz vor 23 Uhr. Wir kamen irgendwo aus dem Süden, und als wir in Tegel landeten, leuchtete die ganze Stadt bereits in einem riesigen Feuerwerk. Es war einfach unglaublich schön anzusehen.“
Er hofft, dass es noch nicht das endgültige Aus ist
Dass der Flughafen Tegel nun schließen soll, findet Phillips „sehr schade. Es ist, als würde ein alter Freund gehen.“ Insgeheim hoffe er, dass es noch nicht das endgültige Aus von Tegel ist. „Auch wenn ich, realistisch betrachtet, nicht daran glaube.“
Am meisten werde er die familiäre Atmosphäre des Flughafen vermissen. „Nach all den Jahren kenne ich fast alle Menschen, die dort arbeiten, vom Busfahrer bis Kofferträger – mindestens vom Sehen.“ Außerdem werden ihm die kurzen Wege fehlen. „Man konnte sogar nur 15 Minuten vor Abflug am Flughafen auftauchen, mit dem Taxi direkt vor den Check-in fahren und dann schnell zum Flugzeug gehen.“
Noch ist er etwas skeptisch, wie alles funktionieren soll. „Ich glaube, der neue BER wird zu klein sein, wenn man sich anschaut, was in Tegel in den letzten Jahren alles abgewickelt wurde“, so Phillips. „Ich bin gespannt, was uns erwarten wird.“
„Ich blicke optimistisch auf das, was kommt“
Pfarrerin Sabine Röhm (52) und ihr Team der Flughafenseelsorge sind für Menschen an den Flughäfen Tegel und Schönefeld da, wenn diese in schwierigen Situationen sind. 36 Mitglieder engagieren sich hier ehrenamtlich, dazu gehören auch Charlotte Lewerich (69) und Andreas Quandt (60), die bereits seit mehr als sechs Jahren dabei sind. „Von gestrandeten Gästen über Pilgergruppen und Gläubige, die einen Segen haben wollen bis hin zu aufgelösten Menschen, die einen Geliebten verloren haben, haben wir hier sehr viel erlebt“, so Quandt.
Gleich am Eingang vom Terminal B auf der linken Seite befindet sich das kleine Büro der Seelsorge. Hier stellen wir eigentlich nur unsere Sachen ab“, erklärt Röhm. „Die meiste Zeit sind wir in den Terminals unterwegs und schauen, wie es den Passagieren und den Mitarbeitern geht.“ Sie wollen die Menschen da abholen, wo sie sind, und die Kirche quasi zu ihnen bringen.
Einen Gebetsraum oder speziellen Ort, an dem Gottesdienste abgehalten werden, gibt es nicht. Lewerich kann sich noch gut daran erinnern, als vor einiger Zeit eine Pilgergruppe nach Rom reisen wollte und sie mit ihnen zusammen eine kleine Andacht mitten im Flughafenterminal gehalten haben. „Wir haben gebetet, einen Reisesegen ausgesprochen und gemeinsam Taizé-Lieder gesungen“, so Lewerich. „Das hat Spaß gemacht. Ein paar der anderen Menschen haben zwar komisch geguckt, aber gestört haben wir niemanden, im Gegenteil.“
Neben dem Segnen ist ein großer Teil ihrer Arbeit, Menschen in Notsituationen Beistand zu leisten, so Röhm. „Zum Beispiel, wenn jemand seinen Flug verpasst und nicht weiter weiß, beklaut wurde oder zurück in die Heimat kommt und im Urlaub einen Angehörigen verloren hat. Dann sind wir da und kümmern uns um sie.“ Das gehe dann manchmal auch ziemlich nahe.
Nahe geht der Pfarrerin der Abschied von Tegel. „Natürlich bin ich wehmütig.“ Dennoch versucht sie, positiv nach vorne zu schauen. „Jetzt beginnt etwas Neues und ich blicke optimistisch auf das, was kommt.“ Denn die komplette Seelsorge soll in den kommenden Wochen auf den neuen Flughafen BER umziehen. Dort soll es sogar eine kleine Kapelle und einen Raum der Stille geben.
“Wir sind eine große TXL-Familie geworden“
Wenn Alvina Dalz Arbiter an den Flughafen Tegel zurückdenkt, wird sie sogar das Chaos mit dem Gepäck und den Bussen vermissen: „Das gehörte für mich einfach zum TXL dazu.“ Die 39-Jährige, die in Lichtenberg wohnt, hat sieben Jahre lang in der „Berlin Tourist“-Infostelle am Flughafen gearbeitet. Obwohl sie in dieser Zeit auch in den anderen Standorten wie Brandenburger Tor, dem Europacenter und am Hauptbahnhof zum Einsatz kam und es in Zukunft unter anderem auch am BER für sie weitergeht, ist es doch der Stadtflughafen gewesen, der für sie zur „zweiten Heimat“ wurde. „In Tegel habe ich viele tolle Menschen kennengelernt“, sagt Dalz Arbiter, „während dieser Zeit sind wir alle eine große TXL-Familie geworden.“
Diese Familie behalte immer im Herzen: „Das ist mein ganz persönliches Andenken an den TXL.“ Natürlich hatte sie auch ab und zu das Glück, deutsche und internationale Stars am Flughafen zu treffen. „Der US-Schauspieler Stanley Tucci, Anke Engelke, Rammstein und die Fantastischen Vier – es waren schon einige Promis bei mir im Laden.“
Sie wäre gerne weiter in Tegel geblieben, sagt sie, denn TXL sei einfach „eine Berliner Institution“. Doch Dalz Arbiter sieht trotzdem positiv in die Zukunft. „Ich finde es auch spannend, was nun mit dem Gebäude und dem Gelände geschehen wird. Eine tolle Möglichkeit, Berlin fit für die Zukunft zu machen.“
Als Andenken eine Speisekarte vom Flughafen Tegel
Für Patrik Cichon bedeutet der Umzug vom Flughafen Tegel an den BER eine Premiere in seiner Karriere als Koch. „Das wird eine spannende Sache“, sagt der 42-jährige aus Reinickendorf, „zum ersten Mal bin ich bei der Eröffnung einer komplett neuen Küche mit dabei, erstelle eine Speisekarte und passe Preise an. Ich freue mich darauf.“
Und doch fällt ihm der Abschied vom TXL sehr schwer. Sechs Jahre lang war er Koch im bekannten Flughafenrestaurant „Red Baron“ und hat dort deutsche und internationale Speisen à la carte zubereitet – und das aus Leidenschaft. „Ich habe hier viel Herzblut reingesteckt, hochwertige Lebensmittel zur Verfügung gehabt und Seite an Seite mit einem tollen, familiären Team gearbeitet. Das werde ich schon vermissen.“ Immerhin bleibe ihm aber das Privileg, in der „Ständigen Vertretung“ weiterhin in einem Flughafen kochen zu dürfen.
„In einer Flughafengastronomie tätig zu sein, ist wirklich etwas Besonderes“, sagt er. In den Innenstädten seien das Wochenende und die Feiertage die großen Stoßzeiten, an Flughäfen habe man dagegen eher an Werktagen alle Hände voll zu tun. „Unsere Feiertage sind die Messen“, er lächelt. Er war kaum sechs Monate im „Red Baron“, erzählt er, als er auch schon vom gewaltigen Andrang aufgrund einer dieser Messen überrascht wurde. „Wir waren damals nur zu zweit in der Küche und haben die Situation total unterschätzt“, erinnert er sich, „da kamen wir doch schon gewaltig ins Schwitzen.“ Seitdem habe er sich aber eine gewisse Routine in solchen Stressmomenten antrainiert – und den Messeplan der Hauptstadt studiert. „Ich habe immer überprüft, was die Woche über in Berlin so ansteht, um mich vorzubereiten.“
Dabei können Passagiere durchaus anstrengende Kunden sein, wie er weiß: „Viele haben es natürlich eilig und es gab schon Fälle, da wurde sich beschwert, wenn das Fleisch nicht nach gefühlten zwei Minuten auf dem Tisch war.“ Aber Qualität brauche nun einmal seine Zeit, auch nahe der Fluggates. Zum Ausgleich freut sich Cichon über jede noch so kleine Anerkennung, die ihm für seine Arbeit zuteil wurde: „Es kamen schon einige Kunden in die Küche, um sich für das gute Essen zu bedanken und nach dem Rezept zu fragen. Sowas macht einen natürlich stolz.“
Prominente Gäste hat er in Tegel selbstverständlich auch schon bekocht, für einen aber ganz besonders gerne: „Ich bin großer Rammstein-Fan und ich kann ohne zu lügen sagen, Till Lindemann ist ein sehr angenehmer Kunde.“ Vom Flugbetrieb an sich bekomme man in der Küche dabei übrigens gar nicht so viel mit, sagt er. Einzig der letzte Flug der „Air Berlin“ sei direkt über sie hinweg gedonnert. „Ansonsten kann ich mich nur an eine einzige Störung zur Arbeitszeit erinnern“, meint Cichon, „als jemand einmal sein Gepäck hat in der Ankunftshalle stehen lassen, sollten wir alle raus aus dem Gebäude. Da habe ich leider das halb fertige Essen auf dem ausgeschalteten Herd zurücklassen müssen.“
Trotz all dieser Erinnerungen an Tegel freut sich Cichon schon auf den neuen Flughafen, auch wenn sich die Architektur und die Weite des BER natürlich fundamental von Tegel unterscheiden werden: „Die Wege hier waren sehr kurz und alles schön kompakt.“ Daher konnte man auch schnell Kontakte zu den anderen Mitarbeitern des Geländes knüpfen und in den Mittagspausen beim Rauchen mit so gut wie jedem ins Gespräch kommen. Für ihn ist es daher eine „echt traurige Nummer“ zu sehen, wie der eigentlich so lebendige TXL während der Corona-Krise heruntergefahren wurde. Ein Andenken für seine Zeit in Tegel hat Cichon dabei jedoch schon im Blick: „Ich werde mir eine Speisekarte des ‚Red Baron‘ mit nach Hause nehmen. Das habe ich bis jetzt bei jedem Betrieb gemacht, in dem ich gearbeitet habe."
Noch einmal zurück an den geliebten Flughafen
Als es im Juni hieß, dass die „Coffee Fellows“-Filiale im Flughafen Tegel doch noch einmal bis Ende Oktober geöffnet werden sollte, meldete sich Mihriban Kaya sofort freiwillig. „An meinen freien Tagen und nach Feierabend habe ich geholfen, den Laden wieder aufzubauen“, sagt die 22-jährige Shopmanagerin aus Schmargendorf stolz. „Wir hatten ja für den Lockdown alles schon ausgeräumt und mussten daher unter neuen Hygienemaßnahmen wieder bei null anfangen.“ Doch für Kaya war dieser Einsatz wegen ihrer persönlichen Verbundenheit zu Tegel selbstverständlich: „Hier in dieser Filiale bin ich sozusagen groß geworden und habe alles gelernt“, sagt sie, „hier arbeite ich am liebsten.“
Seit drei Jahren ist Kaya schon in Tegel– und in dieser Zeit ist ihr der Flughafen stark ans Herz gewachsen. „Als wir dann im März wirklich raus sollten, da sind mir die Tränen gekommen“, sagt sie, „ich wäre am liebsten noch lange geblieben.“
Beruflich gehe es für sie zwar in einer der anderen „Coffee Fellows“-Filialen in der Innenstadt weiter, zu vergleichen sei das aber nicht. „Hier in Tegel war alles so schön kompakt, die Nachbarn waren nett und die Atmosphäre angenehm.“
Das einzige Trostpflaster für Kaya ist, dass sie jetzt immerhin noch ein paar Tage in Tegel verbringen darf: „So kann ich mich würdig verabschieden.“
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Die Berliner Morgenpost hat ein Sonder-Magazin herausgebracht, das sich ganz dem Flughafen Tegel widmet. Auf mehr als 100 Seiten zeigen wir die schönsten Bilder aus der Geschichte des Flughafens, bieten spannende Interviews mit Architekten, Piloten und Prominenten. Berlinerinnen und Berliner erzählen von den schönsten und skurrilsten Begebenheiten, die sie in Tegel erlebten. Der Preis liegt bei 8,90 Euro. Das Tegel-Magazin ist erhältlich im Handel und im Morgenpost-Shop unter: shop.morgenpost.de
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August 16, 2020 at 10:00AM
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